Neue Zürcher Zeitung vom 03.11.2011, verfasst von Jürg Bischoff, Kairo
Die Palästinenser sind empört über Israels Strafmassnahmen für ihre Unesco-Aufnahme. Diese könnten das Aus für die Autonomiebehörde bedeuten.
Die Palästinenser haben mit Empörung und Wut auf die Massnahmen reagiert, mit denen die Regierung Netanyahu die Aufnahme Palästinas in die Unesco bestrafen will. Die Ausweitung des Siedlungsbaus und die Einstellung der Überweisungen von Zoll- und Steuereinnahmen an die palästinensische Behörde seien unmenschlich und dazu angetan, die Zerstörung des Friedensprozesses zu beschleunigen, sagte der Sprecher von Präsident Mahmud Abbas. Der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat wies in einer Erklärung den israelischen Schritt als «illegal» und «Erpressung» zurück.
Diebstahl
«Das Land, auf dem diese Siedlungen gebaut werden, ist besetztes palästinensisches Land. Das Geld, das Israel zurückhält, ist palästinensisches Geld», führte Erekat aus. «Das ist ein Diebstahl, . . . dem sich die internationale Gemeinschaft widersetzen muss.» Erekat versicherte, dass sich die Palästinenser durch die israelischen Massnahmen in ihrem Kurs nicht beirren lassen würden und weiterhin ihr Recht auf einen Staat und Selbstbestimmung einfordern würden. Palästinensische Sprecher haben auch angekündigt, dass sie in weiteren Uno-Unterorganisationen Anträge zu ihrer Aufnahme einreichen wollten. Die israelische Retourkutsche kam freilich nicht überraschend. Israel hatte schon im Mai, nach der Einigung zwischen Abbas und seinen Rivalen von der Hamas über eine Überwindung der palästinensischen Spaltung, die Zahlungen an Ramallah blockiert. Das Abkommen ist jedoch bisher toter Buchstabe geblieben, und Netanyahu nahm die Zahlungen an Abbas auf amerikanischen Druck hin wieder auf. Dass die Israeli auf ihre diplomatische Niederlage in der Uno mit einer Strafaktion antworten würden, war für Abbas klar, umso mehr, als einige Mitglieder der Regierung Netanyahu ihn als gefährlicher einschätzen als die Hamas.
Ohne Geld keine Zukunft
Abbas hat wohl deshalb die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und seine Partei vor die Frage nach der Zukunft der 1994 im Rahmen der Osloer Verträge geschaffenen Autonomiebehörde gestellt. «Die Behörde ist nicht eine Behörde. Die Leute und palästinensische Institutionen fragen mich, was wir mit ihrer Weiterführung gewinnen», sagte Abbas letzte Woche vor dem Revolutionsrat der Fatah. Die PLO und die Fatah haben Ausschüsse gebildet, die sich mit der Zukunft der Institution befassen. Offizielle Sprecher versicherten, eine Auflösung der Behörde stehe nicht zur Debatte, während einige palästinensische Politiker die Möglichkeit durchaus ins Auge fassen.
Falls Abbas seine Strategie der diplomatischen Herausforderung Israels in den internationalen Organisationen weiterführt, könnte sich das Werweissen schnell erübrigen. Die Regierung Netanyahu würde dann wohl die Schraube weiter anziehen und der amerikanische Kongress jede finanzielle Hilfe an die Palästinenser unterbinden. Die palästinensische Behörde würde sich, gewollt oder ungewollt, von selbst auflösen. Abbas hält sich mit seinem Vorstoss nur die Möglichkeit offen, den Tod der Behörde selbst auszurufen, statt ihn stumm zu erleiden.
Das Westjordanland dürfte sich am Ende einer solchen Entwicklung in einer schlimmeren Lage als der Gazastreifen finden, nämlich unter Wirtschaftsblockade plus der flächendeckenden Präsenz der Besatzungstruppen. Die Auflösung der Behörde bedeutete auch ein Ende der palästinensischen Sicherheitskräfte, mit denen die Israeli bisher zusammenarbeiteten und über deren Wirksamkeit sie voller Lob waren. Israel müsste seine Rolle als Besatzungsmacht wieder selber übernehmen, statt sich darauf zu verlassen, dass der von Europa und den USA finanzierte Puffer der Autonomiebehörde die Konflikte zwischen Bevölkerung und Besatzung auffängt.
Teure Rechnung für alle
Das könnte Israel finanziell und politisch teuer zu stehen kommen. Es müsste mehr Truppen für die Kontrolle Cisjordaniens und wohl auch für seine innere Sicherheit einsetzen, statt sich auf vom Ausland bezahlte palästinensische Hilfspolizisten verlassen zu können. Die Präsenz und das Verhalten dieser Truppen werden das Image Israels kaum verbessern, wohl aber die Sympathien für die Palästinenser – und damit ihre Chancen auf internationale Anerkennung – stärken. Netanyahu wird aufpassen müssen, dass die Bestrafung der Palästinenser nicht zum Todesstoss für die palästinensische Behörde wird.
Rhoenblicks Kommentar:
Absurd, von „Bestrafung“ zu reden. Das zeigt wie auch in der NZZ das Gefälle gesehen wird. Solange dies so ist, kommt kein Frieden nach NahOst. Israel rächt sich dafür, dass die Palästinenser von der Mehrheit der in der Unesco akkreditierten Staaten als Gleichberechtigte anerkannt worden sind. Dieses Verhalten empfinde ich als primitiv.
Es ist mir völlig unverständlich, wie stur, geradezu blind Israel auf alles und alle einschlägt, auf alles und alle aggressiv reagiert, das/die nach seiner Meinung nicht stramm seiner Linie folgt.
Ich frage mich, wie lange es noch geht, bis jedermann, der in der Politik etwas zu sagen hat, erkennt, dass Israel der wahre Unruheherd im Nahen Osten ist.
Möglich, dass es noch lange dauert, bis diese Erkenntnis sich überall ausgebreitet hat. Mag sein, dass Israel vorher der Hybris zum Opfer gefallen ist, wie dies nach dem Alten Testament schon geschehen ist.
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