t-online, vom 15.02.2012, 08:09 Uhr; Financial Times Deutschland
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Die EU-Kommission kuscht in der Schuldenkrise vor Deutschland.
Wegen seiner Überschüsse in der Handelsbilanz hätte das Land gerüffelt werden müssen – das ist aber ausgeblieben. Währungskommissar Olli Rehn hat am Dienstag erstmals Ergebnisse des neuen makroökonomischen EU-Frühwarnsystems vorgestellt. Trotz seiner umstrittenen Handelsbilanzüberschüsse ist Deutschland dabei aber ein Rüffel erspart geblieben.
Leistungsbilanzüberschuss als Ursache der Krise?
Viele Ökonomen sehen die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in der Währungsunion als eine zentrale Ursache der Euro-Krise. Dazu zählt Deutschlands großer Leistungsbilanzüberschuss. Hohen Exporten eines Landes stehen hohe Importe eines anderen Landes gegenüber – das sich dafür stark verschulden muss.
Die EU drängt ihre Mitglieder zu einer ausgeglicheneren Wirtschaft und hat das Frühwarnsystem entwickelt, um Fehlentwicklungen zu benennen und gegebenenfalls zu sanktionieren. Überwacht werden etwa Wettbewerbsfähigkeit, Verschuldung und Leistungsbilanz, also der Saldo aus Import und Export von Waren und Kapital.
Bundesregierung drang auf milde Bewertung
Der Regelung waren heftige Debatten im Europäischen Parlament (EP) vorausgegangen, vor allem um die Leistungsbilanzen. Die Bundesregierung hatte vehement darauf gedrungen, dass Überschüsse weniger scharf bewertet werden als Defizite – zum Ärger vieler EP-
Parlamentspräsident Jerzy Buzek hatte die EU-Kommission im November sogar gemahnt, sich nicht in ihrer Handlungsfähigkeit einschränken zu lassen. Trotz aller Widerstände werden Defizite der Leistungsbilanz nun aber bereits bei vier Prozent der Wirtschaftsleistung angemahnt, Überschüsse jedoch erst bei sechs Prozent. Deutschlands Überschuss lag im betrachteten Zeitraum bei 5,9 Prozent.
Gefährden wir die Stabilität?
„Die Lobbyarbeit der Bundesregierung hat sich gelohnt – das nützt nicht gerade der Stabilität der Euro-Zone“, sagte Sven Giegold, EP-Abgeordneter der Grünen. „Die Kommission ist vor der Bundesregierung eingeknickt, damit wird das neue Kontrollinstrument von vorneherein stumpf gemacht“, sagte der SPD-Europaparlamentarier Udo Bullmann. Der CDU-Abgeordnete Werner Langen verteidigte die Kommission: Die Wettbewerbsfähigsten in Europa abzustrafen sei ein Irrweg.
Rehn rechtfertigte den Bericht: Die Analyse zeige für Deutschland „keine exzessiven Ungleichgewichte“. Zudem stehe das Land in der Krise gut da. Allerdings kündigte er an, dass die Kommission die Gründe für anhaltend hohe Überschüsse in den nächsten Monaten noch einmal intensiv betrachten wolle. „Das könnte auch von Relevanz sein für die Analyse der deutschen Performance.“
Stärkung der Binnennachfrage gefordert
Kritischer zeigte sich der Industrieländerklub OECD. Bei der Vorstellung ihres Länderberichts zu Deutschland forderte die Organisation am Dienstag eine Stärkung der Binnennachfrage. „Deutschland sollte seinen Binnensektor genauso attraktiv machen wie seinen Exportsektor“, sagte der OECD-Experte Andreas Wörgötter. Nötig seien Reformen etwa im Dienstleistungssektor. Sie könnten „einen Beitrag zur Senkung des strukturell hohen Leistungsbilanzüberschusses und damit zur Verringerung der globalen Ungleichgewichte leisten“. Anderenfalls drohe Deutschland ab 2020 ein Wirtschaftswachstum von nur einem Prozent.
Auch andere Ökonomen forderten eine Stärkung des Binnensektors. „Es geht nicht darum, die deutsche Exportstärke zu bestrafen, sondern darum, durch mehr Inlandsnachfrage ausgeglicheneres Wachstum für Deutschland und Europa zu erreichen“, sagte Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Das neue Kontrollsystem der Kommission sei nahezu wertlos.
Rhoenblicks Kommentar
Ich sage und schreibe schon seit längerer Zeit: Deutschland boomt auf Kosten der andern. Es steht schon in der Bibel: „Denn da hat, dem wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen werden, was er hat“. (Mat. 13, 12).