«Sie zieht das durch», meinen die Leute, die sie gut kennen. Die «neue Helvetia» (Schweizer Illustrierte) ist auf historischer Mission.
Dafür legt sie sich auch mit der Wirtschaft an, nachdem sie noch als Bundesrätin mit einer Karriere als besser bezahlte Unternehmenschefin geliebäugelt hat: In ihrer Antwort auf die Vernehmlassung beklagt Economiesuisse, leider habe es das Departement verpasst, «konstruktive Beiträge der Wirtschaft zu berücksichtigen, gar zu prüfen».
«Warum solche ökonomischen Verrenkungen, warum dieses Jahrhundertprojekt, warum die gewaltige Anstrengung, wie wenn man im Krieg wäre?», fragte Thomas Held am Stromkongress. Und er gab Antworten, vor allem eine politökonomische: In den hochentwickelten Staaten könnten die Politiker aufgrund von Demografie, Globalisierung und Finanzkrise nicht mehr walten wie bisher, aber der Klimawandel und damit die Energiefrage öffne «ein grosses neues Feld staatlicher Legitimation für Umverteilung, insbesondere für die Industriepolitik». Doris Leuthard also nicht als Liberale, sondern als Etatistin, die der Schweiz aufgrund besseren Wissens die Zukunft weist.
Hier stellt sich die Frage, wer ihr dabei einflüstert.
Da ist der Historiker Daniel Büchel, der am 1. April 2011 vom persönlichen Berater der Departementschefin zum Vizedirektor des Bundesamts für Energie, zuständig für Ressourceneffizienz, aufstieg.
Da ist der 2011 abgewählte Zürcher CVP-Nationalrat Urs Hany, der sich rühmt, ein enger Freund der Bundesrätin zu sein, mit gemeinsamem Ferienhaus im Tessin.
Der Unternehmer im Spezialtiefbau führt den Fachverband der (vom Staat abhängigen) Infrastrukturbauer, und dieser unterstützt selbstverständlich die Energiestrategie stramm: «Neue Projekte sollten auch in Landschaften und bei Naturdenkmälern von nationaler Bedeutung realisiert werden können.»
Und da ist vor allem Nick Beglinger, der mit seinem Lobbygrüppchen Swisscleantech grünschillernden Schaum schlägt.
Auch die Liaison von Doris Leuthard mit dem Weltverbesserer dank «sauberer» Energie reicht vor die Zeit der Havarie in Fukushima zurück.
Und dass sich Nick Beglinger mit Swisscleantech [die Proifiteure der Leuthardschen Energie-Wende à la Merkel] (nur noch 200 Mitglieder; die ABB ist ausgetreten) als Kontrahent von Economiesuisse (100 Branchenverbände mit 30 000 Unternehmen) aufspielt.
Schon als Volkswirtschaftsministerin begeisterte sich die Bundesrätin für das fantastische Projekt Masdar: Ausgerechnet der Ölstaat Abu Dhabi wollte die nachhaltige Stadt der Zukunft bauen – mit einem Swiss Village samt Schweizer Botschaft. Es sollte als Pilotprojekt für den «Masterplan Cleantech» der Schweizer Industrie dienen, für den Nick Beglinger missionierte, und den Doris Leuthard frei- gebig mitfinanzierte. Auf der Homepage von Swisscleantech schwärmt die Bundesrätin heute noch von diesem «zukunftsweisenden Projekt».
Schwierige Suche nach dem Konsens
Allerdings zeichnete sich bereits Anfang des Jahres 2011 ab, dass sich die Sponsoren von CS über Swiss Re bis Implenia zurückzogen. Inzwischen herrscht, wie die NZZ kürzlich schrieb, um das Prestigeprojekt beredtes Schweigen: «Die ganze Geschichte böte den Stoff, um grüne Visionäre aller Art in die Pfanne zu hauen.» Und zur gleichen Zeit wiesen Politik und Wirtschaft den «Masterplan Cleantech» schroff zurück – der Bundesrat stufte deshalb die weltverbesserischen Pläne zur «Strategie für mehr Ressourceneffizienz» hinunter, ausdrücklich ohne Industriepolitik.
Doch dann kam Fukushima – und seither bewegt sich Nick Beglinger im Departement von Doris Leuthard wie ein Fisch im überdüngten Seewasser; und seither predigt die Wirtschaftsführerin in spe als Industriepoli- tikerin gemäss den Glaubenssätzen von Swisscleantech. Das zeigte sich nie so deutlich wie im Juli 2011, als Doris Leuthard in die USA reiste, in Washington den US-Sondergesandten für Klimawandel Todd Stern traf und an der Top-Hochschule MIT in Cambridge, Massachusetts, eine Rede hielt. «Wir sollten darauf bauen, für die brennenden Energie- und Klimaprobleme technologische Antworten zu finden», sagte sie in der Diktion von Nick Beglinger. «Ich bin überzeugt: Hinter eine solche Politik stellt sich auch die Wirtschaft. Innovative Unternehmerinnen und Unternehmer haben ein Interesse, zu investieren.»
Alles bestens also, doch der Markt kann es für die Bundesrätin halt nicht richten. Um die Katastrophe zu verhindern, müsse die Politik «kontinuierlich eine nachhaltige Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung aufbauen», lehrte Doris Leuthard, und dafür müsse sie «gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen, einen Bewusstseinswandel fördern».
Doch jetzt muss sich die Energie- und Umweltministerin ganz profan durch fünfzig Kilo Papier kämpfen und in der Katzenmusik der Stimmen einen mehrheitsfähigen Konsens erkennen. Dabei wenden sich die lautesten Stimmen dezidiert gegen ihren Lehrplan. «Die Vorlage ist stark von staatlicher Lenkung, Beeinflussung und Umerziehung in weiten Bereichen der Lebens- und Arbeitsgestaltung geprägt», wirft Economiesuisse der Bundesrätin vor. «Zudem sollen neue umfangreiche Subventionen den erwünschten Wandel in Gang setzen, was vor allem neue finanzielle Abhängigkeiten vom Staat und damit wirtschaftlich nicht nachhaltige Lösungen zur Folge hat.» Deshalb fordert der Dachverband der Schweizer Wirtschaft: «Diese Vorlage muss grundlegend überarbeitet und in Einklang mit unserer liberalen Wirtschaftsordnung gebracht werden.»
Was nun, Doris Leuthard? Es wird nicht mehr reichen, dass die Bundesrätin widerspenstigen Parteifreunden eine Abreibung verpasst, wie es vor der Abstimmung über den Atomausstieg im Parlament geschah. Und dass sich Nick Beglinger mit Swisscleantech (nur noch 200 Mitglieder; die ABB ist ausgetreten) als Kontrahent von Economiesuisse (100 Branchenverbände mit 30 000 Unternehmen) aufspielt. «Wirtschaft uneins über Energiewende», titelte ein NZZ-Redaktor in der letzte Woche etwas ahnungslos, als Nick Beglinger auf allen Kanälen lauthals Economiesuisse widersprach.
Quelle: „Weltwoche“