Rhoenblicks Leserbrief.
Im Artikel „Geißlers Schlichtungstrick“ (FAZ vom 30.07.2011) scheint Georg Paul Hefty so erstaunt zu sein über den vernünftigen Vorschlag Geißlers betreffend der Bahnhofsbauten in Stuttgart – Durchgangsbahnhof in Tieflage und Beibehaltung des Kopfbahnhofes, dass er von dem 81-jährigen angesehen Politiker als „Urvieh“ spricht. Trotz Überraschung und nicht näher artikulierten Bedenken meint Hefty „Welche Qualität dieser Vorschlag hat, wird zu prüfen sein.“ Er kann es jedoch nicht verkneifen, zu erwähnen, dass der Vorschlag „in seinen Grundzügen angeblich aus dem vergangenen Jahrhundert stammt.“ Ist das ein bei Deutschen in oberen Etagen häufig anzutreffender antischweizerischer Reflex? Herr Geißler hat nämlich diesen Vorschlag zusammen mit der Schweizerischen Firma SMA erarbeitet. Das Züricher Ingenieurbüro SMA hatte den Auftrag erhalten, die Aussagekraft der Ergebnisse des von der DB verfassten Stresstest für den Bahnhof Stuttgart zu überprüfen. Ein Blick nach Zürich zeigt, dass die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) in Zusammenarbeit mit Stadt und Kanton Zürich den Hauptbahnhof mit einem dritten unterirdischen Bauwerk bereichern, das vor allem dem durchgehenden Fernverkehr dienen soll. Daneben sollen auch Spitzkehren von S-Bahnzügen vermieden werden. Neben den unterirdischen Perrons werden auch, wie in Stuttgart, neue Anschlusstunnels gebaut. Ein Vorhaben dieses Jahrhunderts, ein Vorbild für die verkorkste Situation in Stuttgart.
Natürlich tut sich die DB schwer, von ihrem übertriebenen Vorhaben, den ganzen Stuttgarter Hauptbahnhof unter den Erdboden zu verlegen, abzurücken: Nur für das Projekt „Stuttgart 21“ bestehe ein rechtskräftiger Finanzierungsbeschluss und entsprechende Planfeststellungsbeschlüsse. Dies lässt sich ändern. Bei gutem Willen der DB und der Merkelsche Bundesregierung wird dies relativ rasch möglich sein. Das von Rot-Grün regierte Land Baden-Württemberg wird alles tun, um diese neue Idee zu fördern.
Zentral ist die Frage, wer aus der Verlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs in den Untergrund von den freiwerdenden Flächen und deren Überbauung profitiert. Ich meine, dies ist ein wesentlicher Faktor beim DB-Vorhaben: Durch Verkauf, Verpachtung und/oder Vermietung werden Millionen Euro fliessen – wohin? In Zürich tauchte vor mehr als zehn Jahren die Idee auf, das Geleiseareal zu überbauen, d. h. Neubauten auf Pfeilern über den Gleisanlagen zu erstellen. Aus verschiedenen Gründen ging das ausgearbeitet Projekt bachab. Gut so, denn wissenschaftliche Abklärungen hatten ergeben, dass die offen daliegenden Gleisanlagen das Mikroklima eines größeren Teils von Zürich positiv beeinflussen – Durchlüftung. Dies gilt erst recht für Stuttgart, das in einer Mulde liegt. Zudem, der HB von Stuttgart wie der von Zürich haben tagein, tagaus einen grossen Anteil an Ziel- und Quellverkehr. Da ist ein Kopfbahnhof viel angenehmer als ein unterirdischer Durchgangsbahnhof.
Ich stelle fest: Der DB, den zuständigen deutschen Regierungen mit ihren Parlamenten fällt kein Stein aus der Krone, wenn sie sich den HB von Zürich zum Vorbild nehmen. Ich bin in der Schweiz viel mit der Bahn gefahren, das Auto stand meist unbenutzt in der Garage; auch in Deutschland benützen wir sehr häufig die Bahn. Leider fällt die DB-Qualität im Vergleich mit derjenigen der SBB und den anderen Schweizerbahnen gewaltig ab: Lokomotiven, die im Winter eingefroren sind und nicht anfahren können, ICEs, die im Winter zu kalt, im Sommer zu heiß sind, die reihenweise ausfallen. S-Bahnzüge, die mitten auf der Strecke anhalten und – ohne Information der Reisenden – bis zu einer Stunde oder mehr stehen bleiben; Probleme mit Achsen und Radkränzen, weil gespart wird, weil Werkstätten geschlossen werden, so dass die Berliner S-Bahn über längere Zeit ausfällt. Wie weit hat die DB in dem von ihr konzipierten Stresstest zu „Stuttgart 21“ ihr eigenes Ungenügen – siehe oben – berücksichtigt? Es ist zu betonen, dass das DB-Personal am Schalter wie in den Zügen von weitaus höherer Qualität ist. Die Betonköpfe sind in den mittleren und oberen DB-Etagen zu suchen. Die SBB ist ein Dienstleistungsunternehmen, die DB dagegen meint Profite einfahren zu müssen. Der beabsichtigte und zum Glück gescheiterte Börsengang der DB hat in den oberen Etagen noch kein fundamentales Umdenken bewirkt. Schade – die Zukunft liegt beim öffentlichen Verkehr. Dies hat die Rot-Grüne Regierung von Baden-Württemberg erkannt.