Wirtschaftsnachrichten
Die Weltwirtschaft zeigt Erholungszeichen, doch die Aussichten divergieren und sind unsicher. Als Reaktion auf die Krise haben die USA laut OECD am besten Gegensteuer gegeben. 2014 wird die Schweiz erneut mehr wachsen als die Euro-Zone.
Manfred Rist, ParisDrei Geschwindigkeiten
Es wirkt auf den ersten Blick erfreulich, dass die 34 Industrieländer der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im nächsten Jahr im Durchschnitt ein stärkeres BIP-Wachstum von 2,3% erwarten dürfen, was natürlich Hoffnungen weckt, dass die seit fünf Jahren anhaltende Krise nun doch endlich ihrem Ausgang zustrebt. Doch diese Prognose ist mit grosser Unsicherheit und – was die OECD-Ökonomen offen einräumen – auch mit Risiken behaftet.
In Japan etwa findet ein geldpolitisches Experiment statt, um aus der Deflation herauszukommen, und in Europa ist man noch weit vom Abstreifen der Fussfesseln namens «Schuldenberge» entfernt, was die Bewegung bzw. das Wachstum einschränkt. Hier in Europa, meinte der Chefökonom der OECD, Pier Carlo Padoan, am Mittwoch in Paris, sei eine Stagnation (anstelle eines Aufschwungs) nicht auszuschliessen. Bloss in den USA und Kanada, wo sanierte Finanzsysteme und das Gegensteuern der Notenbanken Wirkung zu zeigen scheinen, stellt sich langsam wieder Zuversicht ein. Der Befund der OECD deckt sich also grosso modo mit der Analyse des Internationalen Währungsfonds, der im April auf globaler Ebene drei Geschwindigkeiten ausmachte.
Gratwanderung mit Schmerz
Was die Euro-Zone angeht, fällt zunächst auf, dass der Währungsverbund im laufenden Jahr noch klar in der Minuszone verharrt, dass also Rezession herrscht. Davon ist Frankreich, wo ein BIP-Rückgang von 0,3% erwartet wird, nicht ausgenommen. Die OECD, seit längerem schon ein Befürworter der lockeren Geldpolitik, sieht zum einen in einem tiefen (oder noch tieferen) Zinsniveau das Heil, zum anderen in einer Gesundung der Staatsfinanzen, was nur über Strukturreformen möglich sei. Eine gewisse Reformmüdigkeit sei aber unübersehbar, weil die Resultate auf sich warten liessen, heisst es im Konjunkturausblick. Dennoch: Die Schuldenquoten, die vielerorts 2012 noch angestiegen sind, dürften bald zu sinken beginnen.
Wie weiter in (und mit) Europa? Es sei eine Gratwanderung, meint die OECD, aber immerhin sei das Regelwerk bekannt: Zentral seien Strukturreformen, was genauso für Japan gelte, mit Schwerpunkten auf den Arbeitsmärkten. Von diesen Anpassungen gingen dann in der Regel nachhaltige Wachstumsimpulse aus. Nur eine Konjunkturbelebung erlaube es, die Schuldenlasten zu schultern und zu finanzieren. Und erst wenn man in Europa gewissermassen wieder festen Stand habe, könne daran gedacht werden, wieder einen «normalen» Kurs bei der Geldpolitik zu fahren. Wer daraus schliesst, dass Zinserhöhungen – unabhängig von Fed-Entscheiden – auf dem alten Kontinent vorderhand nicht anstehen, liegt vermutlich richtig.
Explosives zur Arbeitslosigkeit
Doch ohne Investitionen, wozu noch vielerorts das Vertrauen fehle, gehe es nicht aufwärts, meint die OECD. In diesem Zusammenhang appellieren die Gurus um Pier Carlo Padoan an stabile und vertrauensfördernde Rahmenbedingungen, welche die Politik zu garantieren habe. Das kann man auch als Seitenhieb an die Regierung Frankreichs interpretieren, wo – stellvertretend für die Euro-Zone – die Arbeitslosigkeit weiter steigen wird. Gemäss den Prognosen wird dieser Trend in der Euro-Zone bis Mitte 2014 anhalten und sich erst beim Niveau knapp über der Arbeitslosenquote von 12% stabilisieren. Die Gefahr, dass sich zyklische Arbeitslosigkeit in ein strukturelles Problem verwandle und dieses dabei besonders die Jugend tangiere, sei akut. Die Schweiz steht auch diesbezüglich mit ihrer Quote von 4,1% (gemäss OECD-Statistik) zusammen mit Norwegen und Südkorea an der Spitze der Zahlenreihe.