Schnellschüsse – Leserbrief an die FAZ vom 26.09.2010

Schnellschüsse
Die Kommentare von erwecken meinen Widerspruch. Herr Deckers stellt irgendwelche Behauptungen auf, ohne näher drauf einzugehen, ohne sie zu beweisen. Heiligt der Zweck die Mittel – ? Das sei an seinem Kommentar „Der richtige Weg“ (FAZ vom 24.09.10) aufgezeigt. Die Unterstellungen der Justizministerin seien schnell ins Leere gelaufen – schreibt keck und kühn Herr Deckers. Die Aussage von Frau Leutheusser-Schnarrenberger im ARD-Interview vom 23.02.10 gibt Herr Deckers wie folgt wieder: „Bischöfe hätten Priester, die sich an Kindern oder Jugendlichen vergangen hätten, systematisch der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen.“
Ich habe das ARD- Interview mit der Justizministerin am 23.02.2010 angehört. Sie betonte , dass Kindsmissbrauch ein Offizialdelikt ist. Von „systematischem Entzug“  ist nicht die Rede. Es würde der FAZ wohl anstehen, wenn sie dieses Interview, auf das sich Deckers bezieht, an das sich kaum mehr jemand erinnern kann, im Wortlaut wiedergeben würde, wenn der FAZ-Mitarbeiter Deckers nach sieben Monaten darin herumwühlt.
Der der Justizministerin nicht gewogene Christian Rath, der von der taz als „rechtspolitischer Korrespondent“ der Zeitung bezeichnet wird, schreibt am 24.02.10 in der taz unter dem Titel „Keine Anzeigepflicht bei Missbrauch“: „In den ARD-„Tagesthemen“ am Montagabend fragte daher Moderatorin Caren Miosga die Justizministerin, ob es nicht besser wäre, wenn in jedem Verdachtsfall sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet würde. Darauf antwortete Leutheusser-Schnarrenberger: „Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt, und da können nicht andere drüber entscheiden, ob dieses Delikt verfolgt wird oder nicht.““
Vergleichen wir diese Formulierung mit dem deutschen Strafgesetzbuch: „Der sexuelle Missbrauch von Kindern gemäß § 176 StGB ist gemäß § 12 Abs. 2 StGB ein Vergehen, da das strafliche Mindestmaß Freiheitsstrafe unter einem Jahr ist. Die Tat ist ein Offizialdelikt, d. h. sie wird stets von Amts wegen verfolgt, also unabhängig vom Strafantrag bzw. Willen des Verletzten oder seines gesetzlichen Vertreters. So ist bei Bekanntwerden eines Falles die Staatsanwaltschaft verpflichtet zu ermitteln und kann ohne Strafanzeige tätig werden. Das Verfahren kann somit auch nicht auf Wunsch des Kindes oder seiner Eltern eingestellt werden. Somit ist an der Formulierung der Justizministerin „… können nicht andere entscheiden, ob dieses Delikt verfolgt wird oder nicht“ nichts zu deuteln.
Jedoch, der schon erwähnte Christian Rath verunglimpft Frau Leutheusser-Schnarrenberger schändlich, wenn er im Weiteren schreibt: “ Dabei vermischte sie in ungeschickter oder perfider(!) Weise zwei Dinge: Fast jede Straftat ist ein Offizialdelikt, das heißt die Polizei muss ermitteln, sobald sie davon erfährt. Dennoch kann in Deutschland jedes Opfer und jeder Zeuge selbst entscheiden, ob es sein Wissen über eine bereits begangene Straftat an die Polizei weitergibt. Strafbar ist nur die Nichtanzeige „geplanter Straftaten“. Soweit Herr Rath.
Rath und Deckers haben eines gemeinsam, sie entstellen die Aussagen der Justizministerin und unterstellen ihr Absichten.
Bezüglich des Verhaltens der katholischen Kirche urteilte die bayerische Staatsregierung  schärfer als die Justizministerin – laut Focus-Online vom 11.03.10: „Die Bayerische Staatsregierung wirft der katholischen Kirche vor, in der Vergangenheit die Meldepflicht von Missbrauchsfällen „bewusst unterlaufen“ zu haben. Derweil wurden neue Fälle von sexuellen Übergriffen bekannt.“ Und fügt an: Zwar mag niemand als Bürger verpflichtet sein, einen anderen zu denunzieren: Anders sieht dies allerdings aus, wenn die Kirche als Träger einer Schule fungiert und in diesem Zusammenhang der Schulaufsicht meldepflichtig ist. Welche Sonderrechte hat sich die Kirche noch heraus genommen?“  Ähnliche  Betrachtungen zur Meldepflicht finden sich auch auf der web-site der „beauftragten-missbrauch.de“.
Nun sind wir bei einer weiteren Behauptung des Herrn Deckers: Es könnten sich nicht einmal Organisationen für eine generelle Anzeigepflicht erwärmen, die sich als Sachwalter von Opfern verstehen. Da formuliert Deckers ausnahmsweise treffend: „… als Sachwalter verstehen“. Sind  sie das wirklich? Es fragt sich, aus welcher Ecke die „Sachwalter von Opfern stammen“, die eine generelle Anzeigepflicht bei sexuellen Übergriffen ablehnen.
Hören wir uns einen solchen „Sachwalter von Opfern“ an: Der schon zitierte Rath schreibt im oben erwähnten taz-Artikel: „Der renommierte Essener Psychiater Norbert Leygraf berichtete am Dienstagabend aus seiner Begutachtungspraxis mit aktuellem kirchlichem Missbrauch: In vier von sechs Fällen unerwünschter und aufgedrängter Zärtlichkeiten waren es die Opfer, die die Kirche drängten, keine Anzeige zu erstatten. Waren es nur „Zärtlichkeiten“? Gab es nicht auch Fälle von sexueller Nötigung bzw. von Vergewaltigung? Bestätigen die  Betroffenen, die sich als Erwachsene heute zu Worte melden, dass sie „die Kirche drängten, keine Anzeige zu erstatten“? Es ist wichtig zu wissen, dass Norbert Leygraf im Auftrag der katholischen Kirche auch auffällige Priester untersucht (Hamburger Abendblatt, 04.02.10). Zudem – in einem Interview äusserte sich dieser Psychiater auf die Frage, ob das Zölibat pädophiles Verhalten auslöse wie folgt: „Nein, also das ist seit Sigmund Freud bekannt, dass das Unterdrücken von Sexualität natürlich zu Problemen führen kann und zu neurotischen Störungen, aber pädophil wird man dadurch mit Sicherheit nicht.“ (Deutschlandradio Kultur 23.08.10) “ bzw.: “ … Aber es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die Sexualität dann entartet, wenn man sie unterdrückt, oder dass sie sich deshalb ändert.“ (Hamburger Abendblatt, 04.02.10). Das ist doch eine Behauptung aus dem hohlen Bauch heraus – oder kann Leygraf, kann die katholische Kirche, die dies behauptet, dies durch wissenschaftliche Untersuchungen beweisen? Der Glaube versetzt Berge.
Dazu ist zu bemerken, dass „Der Zölibat (von lat. caelebs „allein, unvermählt lebend“; umgangssprachlich manchmal auch das Zölibat) das Versprechen bezeichnet, für das weitere Leben die Verpflichtung zur Ehelosigkeit zu übernehmen.  (Zitat aus Wikipedia). Von „Unterdrückung der Sexualität“ ist da nicht die Rede … . Leygraf unterstellt  demnach dem Begriff „Zölibat“ einen falschen Inhalt mit verheerenden Folgen: „Ja wenn jemand zölibatär lebt, dann ist es eigentlich ziemlich egal, welche Art von Sexualität er hat, er lebt sie dann ja nicht aus(!).“ Der Spruch „ist es eigentlich völlig egal, welche Art von Sexualität er hat, … .“ – er lebt sie aus, vergeht sich an Kindern! Nach Forschungen von Professor Michael Osterheider, Leiter der Regensburger Forensik, fühlten sich „Leute, die andere sexuelle Interessen haben, von einer Institution angezogen, in der nicht verlangt wird, dass man in einer Partnerschaft lebt“.  Er führte weiter aus, Pädokriminelle suchten „sich ein soziales Umfeld, wo sie verfügbare Opfer finden“, insofern sei die Kirche „ein kritisches Biotop für solche Täter“. Und der  Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann meint, die Bedingungen für Priesterweihe oder Ordenseintritt setzten „in großem Umfang Persönlichkeitseinschränkungen und Entwicklungshemmungen voraus“. Wer sich dafür entscheide, sehe sexuelle Erfahrungen oft als sündhaft an und versuche sie zu verdrängen. Diese Lebensform werde gegen jede mögliche Erfahrung, rein im Hoffen auf die Gnade Gottes verteidigt, begünstige aber „neue Versuchbarkeiten, neue Fehlbarkeiten, neue Fehlhaltungen“. (Quelle: Wikipedia).
Schnoddrig qualifiziert Deckers die Justizministerin weiter ab, indem er schreibt, dass sie hinsichtlich der finanziellen Anerkennung der Leiden der Opfer sich kleinlaut gebe. Erst in der letzten Phase des runden Tisches der Bundesregierung könne darüber geredet werden. „Wie bitte?“ fragt Deckers aggressiv, jedoch:  Im nächsten Abschnitt rühmt Deckers – wie könnte es anders sein – die katholische Kirche, dass diese aus politischer Rücksicht mit einem Vorschlag zögere wie man den Opfern sexueller Übergriffe auch finanziell gerecht werden könne. Notabene – es ist nicht dfie „katholische Kirche“, es ist die Deutsche Bischofskonferenz, die andeutet, sie erwäge Entschädigungszahlungen an die Opfer. Die Justizministerin tadelt er, die „katholische Kirche“ lobt er, obschon diese auch hier reagiert, statt agiert.
Für Deckers ist die katholische Kirche nur der Spitze des Eisberges. Bei einem Eisberg ragt nur ein Zehntel des Volumens aus dem Wasser. Mag sein, dass die Zahl des Kindsmissbrauches bei – so Deckers – Sportvereinigungen, auf Schulfreizeiten, in Einrichtungen der Jugendhilfe, in Behinderteneinrichtungen und im familiären Nahbereich zahlenmäßig grösser ist als der in der katholischen Kirche- Bewiesen ist auch diese Behauptung Deckers nicht.
Entscheidend aber, und da schweigt sich Deckers aus, ist die Tatsache, dass die katholische  Kirche sich als Hüter der Moral ausgibt. als Heilsvermittler. Der Priester, der sich an Kindern vergeht, nimmt die Beichte ab, spricht von Sünden frei, trinkt den Wein, der im Messopfer zum Blute Christi wird. Absurd, absurd, Herr Deckers, die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gegen die übrigen Fälle von Kindsmissbrauch aufzurechnen.  Absurd!
Der Kindsmissbrauch in der katholischen Kirche ist systemimmanent, weltübergreifend; Wikipedia listet Missbrauchsfälle auf in: Österreich, der Schweiz, in Frankreich, in Belgien, in den Niederlanden, in Großbritannien, Irland , in Dänemark, Schweden, Norwegen, in Italien, in Kroatien, in Polen (Spanien, Portugal fehlen – ? . (Die sueddeutsche de berichtet am  28.05.2009 die Ansichten eines Kardinals: „Ein spanischer Vatikan-Geistlicher hält Abtreibung für schwerwiegender als den tausendfachen Kindesmissbrauch“) in Irland; in den USA, in Kanada, Mexiko; in Argentinien, Brasilien, Chile; in Südafrika, Nigeria; in Australien, auf Neuseeland; auf den Philippinen.
Die gerügten Schnellschüsse Deckers finden mildernde Umstände; zur Person von Daniel Deckers: 1991 Promotion an der Jesuitenhochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. 1993 wechselte Deckers in die Politische Redaktion der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und beobachtet und beschreibt seitdem im Auftrag seines Blattes Handlungen und Wandlungen der globalen katholischen Kirche. Kirchliche Zeitgeschichte und zeitgenössische Theologie erörtert er mit den Kardinälen Lehmann und Kaspar, über deren Leben und Wirken er Bücher verfasst hat und in seinen Blog „Über Kreuz“, fließen Erkenntnisse ein, die Deckers als ständiger Gast der Deutschen Bischofskonferenz einsammelt.
Es ist bedauerlich, dass dieser Artikel Deckers „Der richtige Weg“ von der FAZ mit vollem Inhalt auf der Frontseite oben rechts platziert worden ist. Der letzte Abschnitt erst stimmt inhaltlich mit dem Titel überein. Die ersten zwei Drittel des Artikels zeigen, dass Deckers ein guter Schüler der Jesuiten gewesen ist.

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Geburtstag 22. November 1937 Geschlecht Männlich Interessiert an Männern und Frauen Sprachen Schwizerdütsch, Deutsch, Schweizer Französisch und Englisch Politische Einstellung Liberalismus Meine politischen Ansichten und Ziele:Förderung der, Forderung nach und Durchsetzung der Eigenverantwortlichkeit. Liberal, – der Staat ist jedoch kein Nachtwächterstaat. Post, öffentlicher Verkehr sind Staatsaufgaben; diese und andere Staatsaufgaben kann er delegieren – Kontrolle ist besser als Vertrauen. – Generell: K-Kommandieren, K-Kontrollieren, K-Korrigieren – unter Inkaufnahme dass man als unangenehm empfunden werden kann. – Unabhängige Justiz, die ihre Entscheide nach Erlangung der Rechtskraft auch durchsetzen kann; keine Einsparungen bei der Polizei. – öffentliche Schulen, dreigliedrige Oberstufe. Nur die besten gehen auf ein Gymnasium; Matur = Reifezeugnis für Studium; Studiengebühren an den Hochschulen und Universitäten – ausgebautes Stipendienwesen. Prüfen, welche Aufgaben des Staates dem BWLer-Massstab ausgesetzt werden können. „Gewinn“ ist nur ein Massstab für das Funktionieren eines Staatswesens. In gewissen Bereichen – Schulen – BWL-Einfluss wieder zurückfah Kontakt Nutzername rhoenblickjrgmr(Twitter) Facebook http://facebook.com/juergwalter.meyer Geschichte nach Jahren 1960 Hat einen Abschluss von ETH Zürich 1956 Hat begonnen hier zur Schule zu gehen: ETH Zürich 1950 Hat einen Abschluss von Realgymnasium 1937 Geboren am 22. November 1937