Opernhaus Zürich; Saison 2012/2013
Wir wollten auf unserer diesjährigen Schweizerreise im Juli die Zürcher Inszenierung von Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ erleben. Nun, wenn auch die arte-Fernsehübertragung (12.05.) längst nicht gleiche Tiefe haben kann, so haben wir uns gesagt: Das ist für uns kein Wagner.
Nichts von der Weite des Meeres, nichts von der nordischen wilden Landschaft – nein ein gewaltig überhöhtes Kontor-Inneres schliesst vom Anfang bis zum Schluss alle Handlungen ein; in der Mitte ein mächtiger sich drehender Baukörper, der als Schiffsrumpf im Trockendock verstanden werden könnte. Wir begegnen keinen Matrosen, keinen Spinnerinnen sondern nett gekleideten Kontoristen beiderlei Geschlechts, die an Bilder von vor hundert Jahren erinnern. Natürlich hat der Regisseur, Andreas Homoki eine Erklärung für das, was in Richard Wagners Oper gemeint sein könnte: Es gibt keine Schiffe als Gegenstände und als Orte der Handlung: Das „Schiff“ ist nur ein Zeichen für die Welt des Daland. Der ist bei Homoki nicht, wie in Wagners Oper, Kapitän sondern Inhaber einer Handelsgesellschaft, ein moderner Unternehmer, der sogar in die Zulu-Aufstände in der damaligen Kappkolonie verwickelt ist. Dieser doch sehr eigenwilligen Interpretation wäre eine leere Bühne, ohne Kulissen, in der durch Lichteffekte die Handelnden hervorgehoben werden, besser angepasst gewesen. Da hätten währschafte, stämmige Matrosen ihre wunderschönen Lieder angestimmt, da hätten Spinnerinnen in nordischer Tracht den singenden Hintergrund für Sentas beeindruckenden Auftritt gebildet. Es sei die Bemerkung erlaubt, die Kontoristen scheinen uns weitgehend das Alter von Matrosen überschritten zu haben. Und noch eine: Es ist sehr schwer, zwei Segelschiffe auf der Bühne agieren zu lassen. Da ist mir eine Inszenierung in der Staatsoper Wien vor gut zehn Jahren in bester Erinnerung. Verwirrend und darstellungsmässig unbefriedigend gelöst, läuft die Szene des 3. Aufzugs ab, in der Dalands Matrosen und die Näherinnen (als „Bürogummis“) die Besatzung des fliegenden Holländers zum Umtrunk einladen und, da keine Reaktion erfolgt, herausfordern. Die magischen Feuerzeichen auf deren Boot sind für Homoki der Anlass, Kontoristen von Pfeilen durchbohrt zu Boden stürzen, einen Zulukrieger auf der Bühne herumschleichen und eine Karte von Südafrika in Flammen aufgehen zu lassen – während ein gespenstischer Chor und, ihn abschliessend, gellendes Hohngelächter vom nicht vorhandenen „Holländer“ ertönt.
Die Interpretation dieser Wagner Oper erscheint mir einfach und einleuchtend: Das Weib, die Frau ist bereit, sich aus Liebe, oder was sie als Liebe versteht zu opfern. Auch wenn die Titelfigur, der Zeit entsprechend, ein Mann ist, so ist doch Senta die Hauptfigur: Sehnsucht nach dem Meer, dem Raum der unbekannten Weiten, Sehnsucht nach dem besonderen Mann, vom Schicksal heingesucht, den sie retten kann. Senta singt: „Preis‘ deinen Engel und sein Gebot! Hier steh‘ ich, treu dir bis zum Tod!“ Solche Frauen finden wir zu allen Zeiten, in Opern, in Märchen und Sagen. Die Frau, die den zum Tod verurteilten Mann liebt und ihn zu retten versucht, die Frau, die sich der Pflege ihres Mannes, ihres Kindes, ja von Fremden aufopfert, denken wir an „the Lady with the Lamp“, an die Diakonissen und die katholischen Schwestern, die ihr Leben der Diakonie, der Caritas weihen oder die Frau, die, erfüllt von romantischen Gefühlen, von Fernweh ihren Mann in einer ganz anderen – orientalischen – Region findet.
Die heutige Generation von Opern-Regisseuren tut sich schwer mit Wagner. Ich erinnere mich an eine schreckliche Inszenierung in Meiningen (Thüringen) vor gut zehn Jahren: „Tristan und Isolde“ wurde da als Verkehrsunfall inszeniert – der Regisseur war ein Schweizer. Heute lese ich im „Spiegel“ (13.05.2013), dass in Düsseldorf eine Inszenierung von „Tannhäuser“ nach Zuschauerprotesten während und nach der Premiere abgesetzt werden musste: Aus Gaskammern taumeln Sterbende; Angehörige der Wehrmacht zwingen Tannhäuser eine Familie zu erschiessen. An diesen beiden missratenen Wagner-Inszenierungen gemessen, wirkt die Aufführung im Opernhaus Zürich noch passabel, aber doch nicht genügend.