Welt online, vom 16.02.2o12, verfasst von Christoph Giesa
Link: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13871889/Wulffs-Selbstdemontage-ist-Merkels-Machtgewinn.html
Christoph Giesa ist Unternehmensberater und Publizist. 2011 ist im Campus Verlag sein Buch „Bürger. Macht. Politik.“ erschienen. Darüber hinaus wurden Beiträge von ihm unter anderem in der ZEIT, dem Deutschlandradio, dem Hamburger Abendblatt, bei GDI Impuls oder bei „The European“ veröffentlicht. Er war 2010 der Initiator der Bürgerbewegung für Joachim Gauck als Bundespräsident.
Angela Merkel könnte es kaum besser haben: Sie hat einen absolut gefügigen Bundespräsidenten. Doch wie lange erträgt die politische Kultur diesen Zustand noch?
Man möchte meinen, zur causa Wulff wäre in den vergangenen Wochen alles gesagt. Von allen. Und mehrfach. Wenn man das Betrachtungsfeld allerdings ein wenig erweitert, wird es wieder interessant.
Angela Merkel hat es geschafft, mit Christian Wulff einen Kandidaten auszuwählen, der nicht nur selbst überfordert ist, sondern darüber hinaus auch noch das Amt bis zur Unkenntlichkeit demoliert.
Es war der von meinem Freund mit einem Seufzen vorgetragene Satz „Eigentlich müssen wir das Amt des Bundespräsidenten ganz abschaffen, es hat spätestens nach Wulff seine letzte Existenzberechtigung eingebüßt“, der mich nachdenklich machte. Denn wenn man ehrlich ist, trifft es den Nagel auf den Kopf. Schon der Prozess, mit dem Christian Wulff ins Amt gehoben wurde, hatte das Amt massiv beschädigt.
Der überparteiliche Charakter, der dem Bundespräsidentenamt zugedacht war und der seinen Ausdruck darin findet, dass der Amtsinhaber seine Parteimitgliedschaft ruhen lassen muss, war nicht nur dadurch ad absurdum geführt worden, dass der neue Präsident eine Biografie mitbrachte, die nichts, aber auch gar nichts jenseits der Parteikarriere aufzuweisen hat, sondern auch dadurch, dass der ganz offensichtlich bessere Kandidat Joachim Gauck (der tatsächlich kein Parteibuch innehat und damit schon ganz automatisch deutlich überparteilicher wahrgenommen wird) im durchsichtigen Parteienklüngel das Nachsehen hatte.
Das Kopfschütteln der Bürger über den Auswahlprozess gab es in der Vergangenheit auch schon des Öfteren, die Amtsinhaber litten aber in ihrer öffentlichen Wahrnehmung kaum darunter. Dies war auch in den ersten Monaten der Wulff-Ära kaum anders.
Man steht nun vor einer Zäsur
Nun aber steht man vor einer Zäsur. Das derzeitige Herumlavieren des Christian W. sorgt dafür, dass das Amt seinen Sonderstatus in der Wahrnehmung der Bürger verloren hat. Traute man bisher den Präsidenten regelmäßig deutlich eher über den Weg, als dies für „aktive“ Politiker galt, ist das spätestens jetzt vorbei.
In dieser Leistung steht Christian Wulff ganz nah bei Guido Westerwelle, der dasselbe mit dem Amt des Außenministers geschafft hat – nur mit dem Unterschied, dass letzterer derzeit eher in der Lage scheint, diese Wahrnehmung bis zum Ende seiner Amtszeit zumindest einigermaßen zu korrigieren.
Am spannendsten ist aber eigentlich das, was die Causa Wulff, der vermutlich tatsächlich bis zum Ende seiner Amtszeit als lahmste Ente der Republik weitermachen will, für das Machtgleichgewicht in Deutschland auch perspektivisch heißt.
Platt gesagt: Das Amt wird keine Rolle mehr spielen
Das Amt und sein Inhaber wird in den nächsten drei Jahren kaum eine Rolle spielen, Widerspruch gegenüber der Regierung wird von Wulff ebenso wenig zu erwarten sein, wie glaubhafte moralische Denkanstöße. Am Ende wird es Deutschland deswegen auf den ersten Blick weder besser noch schlechter gehen und man wird sich zu Recht fragen: Wozu braucht es dieses demolierte Amt eigentlich noch?
Das Angela Merkel nach langem Schweigen, Christian Wulff noch einmal zur Seite sprang, ist der endgültige Beweis dafür, dass es ihr in keinster Weise darum geht oder ging, den besten, stärksten oder glaubhaftesten Bundespräsidenten ins Amt zu heben oder ihn dort zu halten. Es ging ihr noch nicht einmal in erster Linie darum, unbedingt einen Kandidaten mit dem richtigen Parteibuch ins Amt zu bringen und auch die viel diskutierte Motivation, dass sie mit Wulff den letzten einer Männerriege, die ihr hätte gefährlich werden können, aufs Abstellgleis stellen wollte, ist zwar nicht falsch, stand aber nicht im Fokus.
Merkel macht keinen Fehler zweimal
Die einfache Wahrheit ist die, dass Angela Merkel den Anspruch hat, keinen Fehler zweimal zu machen. Und mit Horst Köhler hatte sie einmal einen Kandidaten ins Amt gehoben, der eine Unabhängigkeit entwickelt und sich mit den Bürgern in einer Art und Weise gemein gemacht hatte, die ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt und den Druck auf sie erhöht hatte. Das, so hatte sie sich vermutlich schon geschworen, als Köhler das erste Mal die Unterschrift unter eines ihrer Gesetze verweigerte, sollte ihr nicht noch einmal passieren. Klug wie unsere Bundeskanzlerin eben ist, war ihr schnell klar, dass jegliche von ihr ins Amt gehobene Person ein gewisses Restrisiko mit sich bringen würde, dass diese sich in der Funktion vom Einfluss der Kanzlerin emanzipieren und Probleme bereiten würde.
Die einzig mögliche Antwort auf dieses Problem war es, einen Kandidaten auszuwählen, der nicht nur selbst überfordert wäre, sondern darüber hinaus auch noch das Amt bis zur Unkenntlichkeit demolieren würde. Dafür, das muss man ihr lassen, hat Angela Merkel mit der Westerwelle-FDP als unbewusstem Steigbügelhalter den wahrlich besten Kandidaten ins Amt gehoben.
Der letzte aufrechte Widerständler im Politikbetrieb ist Bundestagspräsident Norbert Lammert, aber auch für den, davon kann man ausgehen, hat die Kanzlerin spätestens für den Beginn der nächsten Legislatur einen Entsorgungsplan im Auge. Man könnte nun vor dieser vermeintlichen Stärke den Hut ziehen, wie auch vor der Art und Weise, wie sie Europa vor sich hertreibt. Man könnte sich allerdings auch fragen, wie lange die politische Kultur dieses Landes den Politikstil der Kanzlerin noch ertragen kann, ohne nachhaltigen Schaden zu nehmen. Noch überwiegt laut allen Umfragen die positive Bewertung. Es bleibt zu hoffen, dass es im Moment der Erkenntnis nicht schon zu spät ist.
Rhoenblicks Kommentar:
Christoph Giess bringt es auf den Punkt. Wulff war Merkels Wahl, Merkel hat mehrmals Wulff ihr Vertrauen ausgesprochen, ihn belobigt. Wulff ist Merkels Werkzeug – gewesen. Also ist Merkel durch Wulffs Rücktritt blamiert, angeschlagen. Ich verweise auf meinen Leserbrief „Den Esel schlägt man, den Sack meint man“.